Die Flüchtlingskrise und der Rechtsstaat

Flüchtlingskrise überall: In den Talkshows, in den Debatten der Parlamente, den Medien, im Internet - dem Thema zu entgehen ist schwer, wenn nicht unmöglich. Und es scheint, als hätten alle Akteure eine oder keine Lösung: Ob von einem humanistischen Standpunkt aus argumentiert -wir schaffen das - oder von einem territorialen Standpunkt aus - Deutschland verliert seine Identität -  die Meinungen prallen aufeinander, ohne dass Lösungen in Sicht wären. Und wie sehr das Thema die Menschen beschäftigt, wie ernst die Situation tatsächlich für uns alle ist, haben die letzten Wahlen überdeutlich gezeigt: Der beeindruckende (und mich bedrückende) Wahlerfolg der AfD, die bereits vom Erdboden der politischen Teilhabe verschwunden war, ist im Wesentlichen, wenn nicht ausschließlich auf die Flüchtlingsthematik und deren Behandlung durch die politisch Verantwortlichen zurückzuführen.

 

Wo also ansetzen?

 

Eine Überlegung könnte die Überprüfung der Rechtsstattlichkeit des bisherigen und zukünftigen politischen Handelns sein. Deutschland ist ein demokratischer Rechtsstaat, eine großartige Errungenschaft unserer jüngeren Geschichte, wobei der Rechtsstaatlichkeit die größere Bedeutung zukommt (was sich gegenwärtig sehr deutlich an den Entwicklungen in Polen, aber auch in Ungarn zeigt). Die Justiz in Deutschland ist unabhängig, Bürger haben Rechte und Ansprüche, die sie notfalls einklagen können (keineswegs eine Selbstverständlichkeit), jedermann ist vor dem Gesetz gleich und sicher vor staatlicher Willkür. Das Grundgesetz normiert die Menschenwürde als oberstes Gebot, und die Menschenrechte, im Grundgesetz als Grundrechte bezeichnet, darunter das Recht auf Asyl, sind unabänderliche Richtschnur staatlichen Handelns. Und damit all dies nicht nur Theorie ist, sondern auch realisiert werden kann, ist ein funktionierender souveräner Staat erforderlich.

 

Leitlinien für die Behandlung Asylsuchender sind Rechtsnormen, in denen politische Lehren aus der Vergangenheit und humanitäre Grundsätze zum Ausdruck kommen: Neben dem bereits erwähnten Recht auf Asyl, geregelt in Artikel 16a Grundgesetz, einem individuellen Recht auf Schutz vor politischer Verfolgung, gelten die Genfer Flüchtlingskonvention, die Europäische Menschenrechtskonvention und die Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Zuständigkeitsregeln finden sich im  sog. Dublin III Abkommen (der Staat, in dem der Asylbewerber zuerst den Boden der EU betritt, ist für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig), im innerstaatlichen Recht wird die Durchführung des Asylverfahrens rechtsförmig (d.h. unter Wahrung der Rechte des Asylbewerbers und mit der Möglichkeit Rechtsbehelfe und Rechtmittel einzulegen) geregelt, und vor Abschiebungen werden unter Beachtung menschenrechtlicher Standards Abschiebehindernisse geprüft. Nicht zuletzt ist in diesem Kontext auch das sog. Schengen Abkommen von Bedeutung, in dem die vertragschließenden Staaten die Reisefreiheit im Inneren bei gleichzeitiger Sicherung der Außengrenzen vereinbart haben.

 

Dieses gut austarierte Regelungssystem ist leider in der Vergangenheit - wenn überhaupt - nur unzureichend beachtet worden. Mit der Öffnung der Grenzen im vergangenen September wurde nicht nur das Dublin Abkommen, sondern auch die Sicht unserer europäischen Nachbarn weitgehend ignoriert. Gleichzeitig wurde der Eindruck vermittelt, Deutschland habe die Menschen eingeladen - ein klarer Verstoß gegen den Sinn des Asylrechts und der Flüchtlingskonvention. Der Rechtsbruch gehe von Deutschland aus, wurde im Januar bei einer Tagung hochrangiger Juristen und Politiker in Berlin konstatiert. Wenig Beachtung gefunden hat auch die Tatsache, dass die Flüchtlingskonvention nicht dazu verpflichtet, Menschen aufzunehmen, die seit Jahren zum Teil sicher z.B. in der Türkei leben (was allerdings z.B. auf Kurden natürlich nicht zutrifft). Und ein besonderes Ärgernis stellt der Umgang mit Asylbewerbern dar, denen in den überwiegenden Fällen kein Asylanspruch zusteht oder die keine Flüchtlinge nach der Konvention sind. Hierunter fallen nicht nur Menschen aus dem Balkan, sondern auch - mit Ausnahmen - Menschen aus Afrika, Pakistan, den Maghreb-Staaten und aus Georgien. Durch die nicht konsequente Abarbeitung der - überwiegend unbegründeten - Asylanträge halten sich Viele seit langem in Deutschland auf und blockieren wertvolle Ressourcen, die für die wirklich Schutzbedürftigen gebraucht werden.

 

Die Folgen dieser rechtsstaatlich katastrophalen Handlungen und Unterlassungen sind fatal: Die Europäische Union wird zunehmend als rechtsfreier Raum wahrgenommen, was schwerwiegende Folgen für andere Bereiche Europäischen Rechts mit sich bringen kann, die Solidarität innerhalb der Gesellschaft gerät in Gefahr (was die Wahlen deutlich gezeigt haben) und gerade eine der wichtigsten Säulen unserer Gesellschaft, die Verlässlichkeit stattlicher Institutionen und das Vertrauen in deren rechtsstaatliches Handeln wird geschwächt.

 

Wenn wir eine offenen Gesellschaft bleiben wollen, offen auch für die Hilfe wirklich schutzbedürftiger Menschen, brauchen wir Regeln und Grenzen, um in einem Umfeld voller Illiberalität, offen bleiben zu können. Die Befolgung selbstgesetzter (!) Regeln ist dafür unabdingbar.

 

Meines Erachtens ist es also dringend erforderlich, zurück zur Beachtung und konsequenter Befolgung des Rechts zu kommen (die EU bezeichnet sich als Raum der Freiheit und des Rechts), die Regeln des Dublin III Abkommens wieder in Kraft zu setzen, Verfahren von Asylbewerbern, denen offensichtlich kein Recht auf Asyl zusteht und die keine Flüchtlinge im Sinne der Konvention sind unverzüglich zu entscheiden und die abgelehnten Asylbewerber konsequent abzuschieben (woran es ebenfalls fehlt). Wenn wieder rechtsstaatliche Zustände einkehren, habe ich keine Zweifel daran, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung der Aufnahme wirklich verfolgter Menschen positiv gegenüber steht und die AfD wieder dorthin verschwindet, wohin sie gehört: in die Vergessenheit.

Bild: Fotomovimiento 2016_02_27_Manu_04. Flickr.com

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