Aktionismus ohne Adressat

Der folgende Leserbrief erschien als Reaktion auf die Berichterstattung in der Badischen  Zeitung und des Südkuriers.

Herr Karrer und Frau Abazi-Huber locken in absurdem Verständnis von Nächstenliebe die Presse in die zweckmäßig eingerichtete Asylbewerberunterkunft. Beim Lesen des Artikels fragt man sich, in welche Richtung sie mit ihrem erhobenen moralingetränkten Zeigefinger deuten wollen. Auf das Landratsamt, das mit dem Management der Situation mehr als ausgelastet ist und wo das angesprochene Problem bei dessen Mitarbeitern seit langem bekannt ist? Auf die zahlreichen ehrenamtlichen Helfer, die sich bereits seit über einem Jahr in außerordentlicher Art und Weise für die Menschen in den Unterkünften einsetzen und sich anders als die „Ich-bin-kein-Nazi-aber“-Wutbürger ein reales Bild von der Situation erlauben können? Von den Hasskommentatoren, denen dieser Artikel in den sozialen Medien und an den Stammtischen dieser Stadt Auftrieb gegeben hat, sind wohl die wenigsten bereit, auch nur einen kleinen Beitrag zur Linderung der Situation zu leisten.

 

Oder zeigen Herr Karrer und Frau Abazi-Huber auf „die“ Asylbewerber, die, typisch Mensch, bei gemeinschaftlich genutzten Einrichtungen die Verantwortung auf den nächsten abschieben? Dabei sind wir alle, seien wir „Ich-bin-kein-Nazi-aber“-Wutbürger oder „Gutmenschen“, nicht besser: In unserem Wohlstandsland entspricht die „verschmutzte Herdplatte“ dem Klima, das wir wissentlich weiterhin durch unsere extensive Nutzung fossiler Energie befeuern und verdrecken und dabei die Verantwortung in die nächste Generation abschieben.

 

Und was sagen die Bewohner der Gemeinschaftsunterkunft? Könnte es sein, dass der überwiegende Teil der Bewohner ebenfalls nicht mit der Situation einverstanden ist? Es werden sich nun bestimmt auch die Leserbriefe der Asylbewerber in der Redaktion türmen und um Richtigstellung bitten. Ach so, die lesen keine Zeitung? Doof. Da läuft der öffentlich erzeugte Druck der beiden selbsternannten Ankläger und der „Erziehungs-Hass“ der Social Media-Welt wohl ins Leere.

 

Was bleibt also hängen? Eine stimmenlose Gruppe wird als schmutzig und zerstörerisch stigmatisiert. Die beiden Ankläger schimpfen auf die Behörde, die wachsende Gruppe von Helfern und auf die Asylbewerber und erweisen damit der gesamten Flüchtlingshilfe einen Bärendienst. Darüberhinaus produzieren sie Futter für die AfD und andere rechte Gruppen, die sich jetzt in dem Wunsch bestätigt fühlen, das offene und integrative Deutschland abzuschaffen. Die Unterstützung hört bei den Anklägern also dort auf, wo die deutsche Putzverordnung nicht mehr greift. Hauptsache der Biedermeier-Voyeurismus konnte gestillt werden.

 

Und noch ein Satz zum Hass gegen das Fremde und allgegenwärtig beschworene Untergangsszenarien. Würden wir uns in Deutschland einmal ernsthaft damit beschäftigen, wo unsere finanziellen Probleme liegen (nämlich bei den Steuerflüchtlingen, der Schwarzarbeit und der fehlenden Anerkennung geleisteter Arbeit am Ende des Erwerbslebens) anstatt die Schwächsten und die sich bedroht fühlende Mittelschicht gegen die Vertriebenen und Mittellosen aufzustacheln, wäre die freiwerdende Energie sinnvoll genutzt. Lassen wir uns nicht von den Rattenfängern im Schafspelz und den selbsternannten Chefanklägern der Gemeinschaftunterkunft in unserem Engagement und der Hilfe am Nächsten entmutigen.

 

Manuel Knapp

Kommentare: 1 (Diskussion geschlossen)
  • #1

    Frank van Veen (Montag, 13 Juni 2016 09:21)

    Die Haltung von Karrer und Abazi hat in Deutschland eine lange Tradition. Andere, vorwiegend Minderheiten an den Pranger zu stellen und zu belehren war oft Ausdruck vermeintlicher deutscher Überlegenheit. Folgendes Zitat, das sich mit unserer jüngeren Geschichte beschäftigt, habe ich kürzlich gelesen: "Von deutschen Frauen erwartete man, dass sie einen zivilisatorischen Auftrag erfüllten, und zu diesem gehörte es, den primitiven Regionen "überlegene" Methoden der Haushaltsführung und häuslicher Ordnung zu vermitteln"(Wendy Lower, Hitlers Helferinnen, Frankfurt am Main 2016, S. 100 m.w.Nw.). Also los, an die Putzeimer, ihr Asylanten!
    Frank van Veen