Kanzlerin Merkel würdigt ehrenamtliche Flüchtlingshelfer

Berlin, Manuel Knapp. Bundeskanzlerin Merkel lud am 07. April 2017 ehrenamtliche Flüchtlingshelfer zur Würdigung ihrer bisher geleisteten Arbeit ein. Als Vertreter von Refugees Integrated e.V. durfte ich stellvertretend für den Vorstand und die über einhundert Mitglieder und weiteren aktiven Ehrenamtlichen am Empfang im Kanzleramt teilnehmen. Den Link zum Video der Veranstaltung finden Sie hier. RI wurde aus einem Pool von über 1300 Initiativen ausgelost


Frau Merkel brachte für den Dialog mit den Vereinsvertretern rund zwei Stunden Zeit und ihre Gäste Erfahrungsberichte und Fragen mit. Heftig kritisiert wurde Merkel für ihre Aussage aus dem Jahr 2015: „Deutschland ist ein starkes Land. Das Motiv, mit dem wir an diese Dinge herangehen, muss sein: Wir haben so vieles geschafft – wir schaffen das!“ – beim Ehrenamtsempfang im Kanzleramt jedoch nicht. Ganz im Gegenteil.

Gespräche mit den 140 Teilnehmern vor und nach der Podiumsdiskussion mit der Kanzlerin zeigten mir, dass die anfänglichen Euphoriebilder von Bahnhöfen und Grenzübergängen gewichen sind. An deren Stelle hat sich jedoch nicht die pessimistische und xenophobe Haltung mancher Weltuntergangstheoretiker gesetzt. Vielmehr ist die Willkommenskultur erwachsen geworden, hat sich institutionalisiert und als ehrenamtliche Arbeit neben den behördlichen Strukturen etabliert, gefestigt und mit anderen Akteuren aus dem karitativen Bereich, der Verwaltung und der Politik, vernetzt.

Während in Phase eins die  Erstbetreuung von Schutzsuchenden ohne Ehrenamtliche nicht möglich gewesen wäre, die Anpassung der Gesetzgebung hinterherhinkte und das Zusammenspiel der unterschiedlichen Kompetenzen eingespielt werden musste, sind wir heute, rund zweieinhalb Jahre später, in einer zweiten Phase der Flüchtlingsarbeit angekommen. Hier stehen auf der Seite der Ehrenamtlichen nur noch jene in der Flüchtlingshilfe gewähr, die sich ihre Kräfte gut eingeteilt, ein dickes Fell zugelegt und die Kommunikation vor Ort mit den Behörden, der Zivilgesellschaft und großzügigen Spendern gepflegt haben. Jene also, die von Anfang an rational und überlegt den Marathon der Flüchtlingsversorgung und Integration angegangen sind. Refugees Integrated ist noch dabei und das Vereinsziel, das auch im Namen steckt, lässt erahnen, dass die entscheidende dritte Phase, nämlich die langfristige Integration der dann nicht mehr Schutzbedürftigen in unserer Gesellschaft, die wirkliche Aufgabe an den Verein, deren Mitglieder aber auch der Bevölkerung Bad Säckingens erst noch bevorsteht.

 

Keine Schönwetterveranstaltung

Die Anwesenden berichteten im Einzelgespräch und während der Podiumsdiskussion offen von unverständlicher Ämter(un)tätigkeit, von mangelndem Respekt anderer Akteure gegenüber der Flüchtlingsarbeit und der Nichtbeachtung von gewachsener, bürgerschaftlicher Expertise. Ich habe schon oft den zum Standardrepertoire eines Politikers gehörenden Satz „ich nehme das mit nach Hause und werde mich darum kümmern“ gehört, auch an dieser Veranstaltung fiel er. Dieses Mal jedoch hatte ich den Eindruck, dass die Bundespolitik in Person von Frau Merkel bereit ist, zuzuhören und nach zu justieren. Das liegt sicherlich auch am Umstand, dass Frau Merkel den Leiter des Koordinierungsstabes der Flüchtlingspolitik, Ministerialdirektor Dr. Hecker, mitbrachte. Dieser mischte sich nach dem Podiumsgespräch unter die Anwesenden und stand so direkt im Austausch mit den lokalen Experten der Flüchtlingshilfe zur Verfügung.

 

Auf Kritik folgen differenzierte Erklärungen

Auch Fragen nach der kontrovers durchgeführten Afghanistan-Abschiebungen oder den Balkan-Rückführungen wurden gestellt. Grundsätzlich plädierte Merkel dafür, dass diejenigen, die Schutz benötigen auch in den Genuss der staatlichen Leistungen kommen sollen. Andere, die nicht unter die allgemeingeltende Genfer Flüchtlingskonvention fallen, sollten (nach der obligatorischen Einzelprüfung) wieder in ihr Heimatland zurückgeführt werden. Die Bundeskanzlerin erklärte ihre Position zwischen In- und Außenpolitik sachlich, unaufgeregt und allgemein verständlich. Ab Minute 50 der Aufzeichnung kann, anhand des Afghanistan-Beispiels, die Abwägung zwischen der externen Dimension der Weltpolitik und den innenpolitischen Konsequenzen nachgesehen werden. An dieser Stelle hätte ich mit Zwischenrufen aus dem Publikum gerechnet, sie blieben aus. Für mich ein Zeichen, dass auch das Publikum bereit war offen in den Dialog zu treten und dem Gegenüber zuzuhören.

Was jedoch unbeantwortet blieb ist die Frage nach einem deutschen, noch besser europäischen, Einwanderungsgesetz. Ich bin der Überzeugung: Wer Schleusern das Handwerk der illegalen und gefährlichen Migration nachhaltig legen möchte, der kommt neben der Neuausrichtung der Afrikapolitik (auch in der Diskussion ab 38:20 angesprochen) und einem Einwanderungsgesetz nicht vorbei.

 

140 Vertreter aus 16 Bundesländern zeigen auch die unterschiedliche Rechtsauslegung der bestehenden und neu geschaffenen Gesetze. Eine Ehrenamtliche aus Starnberg beklagt, dass das Land Bayern in Sachen „3+2“, der Möglichkeit nach einer dreijährigen Ausbildung weitere zwei Jahre Arbeitserfahrung zu sammeln, das Land Bayern im erlaubten Ermessensspielraum die Möglichkeit zur Arbeit von zwei auf null Jahre herabsetzt. Das bedeutet im Umkehrschluss: Viel investiert und dennoch nichts erreicht, oder wie es eine Teilnehmerin formulierte: „Integration bedeutet Handlungsfähigkeit, Handlungsfähigkeit bedeutet Rechtssicherheit“ (ab Minute 66:40).

 

Diese Handlungsfähigkeit für anerkannte Asylbewerber und Ausbilder zu bekommen ist auch ein Anliegen einer anderen Teilnehmerin. Sie beklagte, dass die Arbeitserlaubnis erst drei Monate vor dem Beginn der Ausbildung bereitgestellt wurde. Zu kurz für viele Arbeitswillige und zu spät für Arbeitgeber, sodass die Unsicherheit viel vorhandenes Potential vergeudet (ab Minute 38:20).  

 

Strukturelle Probleme, die es vorher schon gab, rücken nun in den Vordergrund

Eine steigende Bevölkerungszahl sorgt für eine größere Bevölkerungsdichte. Gerade in Städten wie Berlin oder auch am Hochrhein. Beide Orte bilden aus unterschiedlichen Gründen attraktiven Lebensraum, doch dieser ist knapp und damit teuer. Es gilt: dort wo man Fläche mit Parkplätzen und Discountern nutzt, entsteht kein sozialverträglicher Wohnungsraum, keine Sandkästen und kein Räume der Begegnung. Die weiteren Erfolge der Integration in der zweiten und dritten Phase können nur durch vorausschauende Arbeit aller Akteure gelingen.

 

Wie weit haben wir es bisher geschafft?

Rückblickend zieht Bundeskanzlerin Merkel ein selbstkritisches, aber positives Zwischenfazit der Aufnahme- und Integrationsleistung Deutschlands. Ihrer Einschätzung nach sei das Glas halb voll und nicht halb leer. Wie komplex die Frage von Flucht, Vertreibung und Migration ist, wurde bei dieser Veranstaltung mehrmals deutlich. Eine klare Sprache und das Gefühl des Gehörtwerdens hinterließ bei den meisten, mit denen ich noch sprechen konnte, ein positives Echo.

 

 

Entgegen dem Klischee, Deutschland könne nur durch Normen, Maße und Gründlichkeit funktionieren, zeigte das Zusammentreffen mit anderen Helferinnen und Helfern, dass das Deutschland in der Mitte des zweiten Jahrzehnts auch durch Improvisation und Kreativität im Stande ist, humanitäre Ersthilfe zu leisten. Ohne den pragmatischen Ansatz der zahlreichen Initiativen in Deutschland und der Leistung der Ehrenamtlichen in Bad Säckingen, hätten wir womöglich ein Zusammenbruch der behördlichen Strukturen erlebt. Nun, nachdem – auch dank des EU-Türkeiabkommens – die erste Stressphase vorüber ist, liegt es an den kommunalen, Landes- und Bundesbehörden nachzuziehen. Einhellige Meinung und Bitte der Helfer war es, dabei auf die gewonnene Erfahrung der Initiativen künftig zurückzugreifen. Dadurch könnten bessere Verfahrensentscheidungen erzielt werden. Ganz nebenbei gäbe es langfristig keine größere Ehrung der engagierten Helferinnen und Helfern, wenn auch ihre Expertise in den weiteren Integrationsschritten gefragt und anerkannt werden würde. 

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